Freitag, Dezember 14, 2012

Isis



Die junge Frau namens Isis reichte mir ihr Telefon. Ich schüttelde dankend den Kopf. Im Schneefall war es aber nicht möglich, eine Nummer einzutippen. Ich stellte mich in den Schutz eines Mauervorsprungs bei einem Hauseingang, suchte hektisch die Telefonnummer von Ella in meiner Hosentasche. Fand ihn nicht. Dann in der Jackentasche, Hemdtasche.
Isis schaute mich immer skeptischer an. Mir war das Ganze natürlich peinlich. "Hab´s gleich." erklärte ich. Sie nickte kurz und versuchte gar nicht erst groß zu verbergen, dass sie meinen Anblick belustigend fand. Ich glaubte, zumindest einen Hauch von Sympathie in ihren Augen zu erkennen.
Endlich ertastete ich den Zettel in der Innentasche meiner Jacke zwischen den Krümeln von Zigaretten, die bei meinem waghalsigen Sprung durch das Fenster - war wirklich ich das, der das getan hat? - offenbar zerquetscht worden waren. Ich zog den Zettel heraus. Entzifferte die einzelnen Schriftzeichen aus Ellas Hand. Shit. Einige Zahlen waren verwischt und nicht mehr lesbar. Ich starrte auf den Zettel, wollte es nicht glauben.
"Gibts ein Problem?" fragte Isis.
"Ich kann die Nummer nicht lesen...das heisst, ich kann schon lesen. Die Nummer ist aber verwischt..."
"Oh...."
"Fuck."
Schweigen.
"Ist etwas kalt hier. Ich muss mal weiter." sagte sie.
"Ja. Ja. Schon gut."
"Also, weiß nicht, was man da sagt...Machs gut?"
"Ja. Sowas in die Richtung, glaube ich. Danke für die Hilfe."
Ich reichte ihr das Handy zurück.
Sie ging. Ich schaute ihr nach in den Schnee. Kaum hatte das Weiß sie verschluckt, hörte ich ihre Stimme nocheinmal.
"Sag - magst du mitkommen? Kannst dich bei mir aufwärmen. Hab eine Ecke, da ist Platz für...so...Spinner...".
PotzBlitz! Damit hatte ich jetzt aber nicht gerechnet. 
Genaugenommen war es ein Unsinn auf das Angebot einzusteigen, weil jede Entscheidung, die ich an diesem Tag getroffen hatte, hat sich bislang als äußerst fatal erwiesen. Andererseits - hier im Nichts dieser immer unheimlicheren Stadt und in der Kälte durch die Gegend laufen, ohne zu wissen, woher und wohin, war auch nicht sinnvoll. Zudem war es mittlerweile wirklich bitterkalt. Und diese Frau wirkte ja nicht unsympathisch oder gefährlich. Vielleicht war es besser mitzugehen. Möglicherweise würden außerdem die seltsamen Zeitgneossen aus dem Lokal doch nach mir suchen - oder zumindest so unerwartet auftauchen, wie zuvor. Rasch wurde mir klar - ich hatte eigentlich keine Wahl. Ich musste das Angebot annehmen.
"Hey - Gern!" sagte ich. Und hoffte dabei, dass in keinster Weise zu hören war, in was für einer Verfassung ich gerade war.

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