Montag, Dezember 10, 2012

Immer



Ich rannte wie ein Besessener aus dem Lokal. Richtigerweise muss ich sagen - ich wollte hinausrennen. Leider war die Tür verriegelt. Mit voller Wucht prallte ich gegen das abgedunkelte Glas der Türscheibe. Die Tür ruckelte nicht einmal. Irgendetwas knackste im Bereich meines Handgelenks. Ich bemerkte es vorerst ohne Schmerz. Eine Mischung aus Peinlichkeitsgefühlen und dann rasch ausufernder Panik nahm meinen Körper in Besitz. Die paar Nutten im Lokal schauten etwas entgeistert zu mir herüber. Ein paar saßen nebeneinander auf einem Sofa, nippten an ihren Sektgläsern. Ihre Unterwäsche leuchtete blauweiß im Neonlicht. Das Weiß ihrer Augen brannte sich in mir ein. Mir schien, sie grinsten. Oder leuchteten bloß ihre Gesichter so gespentisch. Ich warf einen Blick zu Veronika. Sie blickte ebenfalls ihre Stirn runzelnd in meine Richtung. Eine ruhige, schmale Rauchsäule stieg vom Aschenbecher empor, in dem meine Zigarette noch gloste, als wäre nichts geschehen. Die zwei Typen in der Ecke waren nicht zu erkennen.
Hinter der Theke bewegte sich ein Schatten am Tresen vorbei. Der Barkeeper, Aufpasser, Kassier und jetzt Scharfrichter über mein unwürdiges Leben. Ein breitschultriger, glatzköpfiger Typ in einem weißen Hemd ging ruhig zu Veronika. Sie flüsterten etwas. Blickten zu mir hinüber. Dann redete er kurz mit den beiden Typen in der Ecke. Der Mann war seelenruhig. Kein Wunder. Ich war gefangen. In einem Bordell. Ohne Sex gehabt zu haben. Er winkte mich zu sich. Ich warf noch einen Blick auf die Tür - aber es gab keine Türklinke und keinen Türöffner. Nur das abgedunkelte Glas. Draußen ein Taxi, das im mittlerweile recht dichten Schneefall ganz langsam vorbeifuhr. Niemand wusste wo ich war, wer ich war, warum ich hier bin, ich könnte jetzt verschwinden und es würde keinen Menschen geben, der je davon erfahren würde. Ich hatte Angst.
Der Barkeeper kam ganz langsam auf mich zu. Er sprach in starkem Dialekt. "Die Zwei wollen mit dir sprechen." "Aber ich würde jetzt ganz gerne gehen." antwortete ich. ""Das kannst du dann vielleicht nachher machen. Jetzt redest du mit den Beiden." In der dunklen Ecke stieg Zigarettenqualm auf. Es schien blau zu leuchten. Wie ein Sternentor kam mir diese Dunkelheit vor. Als gäbe es keine Wiederkehr von dem, was dort auf mich wartete.
Er baute sich vor mir auf. Seine Körpergröße übertraf meine um einen halben Kopf. Seine Oberarme waren in etwa so breit wie meine Brust kam mir vor. Aus seinen Augen sprach eine Fähigkeit zu Brutalität, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Er starrte mich an. Jeder Funken Wille schien aus mir zu weichen.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Die mich eine möglicherweise folgenschwere Entscheidung fällen ließ.
In sprang dem Typen mit einem Satz zwischen seine Arme vors Gesicht und schob meinen Handballen mit gestreckten Armen in sein Kinn. Ehe er ausweichen konnte, klappte sein Kopf schon zurück und er wich nach hinten. Etwas schien nachzugeben. Aber nicht ganz. Ich Idiot. Natürlich reichte meine Kraft nicht aus, um ihn wirklich niederzuschlagen. Er ergriff meinen Arm und ich stürzte mit ihm zu Boden. Es gelang mir sogar, mit dem Schienbein in seine Kniekehle zu treten. Der Griff lockerte sich nicht. Ich erinnerte mich - es gab ein paar Nerven  am Oberarm, man musste sie nur gut genug erwischen. Schnell genug. Hingelangen. Der Typ stöhnte. Ich spürte nichts mehr. Dann  versetzte er mir mit seiner Faust einen Vollteffer ins Gesicht. Ich verlor das Bewusstsein.
Beinahe vollständig.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Zwei dunkle Körper kamen auf mich zu. Weit weg hörte ich die Mädchen kreischen. Ich befreite mich irgendwie aus der Umklammerung. Ich konnte die Tür sehen. Daneben Fensterscheiben. Von Vorhängen verdeckt. Ich stürzte mich darauf zu. Einer der beiden Körper schnappte nach mir. Ein Stoff-Fetzen meiner Jacke blieb in seinen Händen. Ich machte einen weiteren Schritt. Einen Sprung. Ich musste an Ella denken. Und an mein anderes Leben. Ihre Nummer. Glas konnte brechen. Fensterscheiben auch. Ich stürzte am Boden. Kratzer am Gesicht. Scherben überall. Eine Blutspur im jungfräulichen Schnee. Wie Wolle eines Lamms auf dem grausamen Boden von Mutter Erde. Asphalt. Frischluft.
Ich landete am Rücken. Meine Lungen versagten ihren Dienst. Ich konnte nicht denken. Nur weiter, schrie es in mir. Weg. Meine Beine gehorchten langsam. Zu langsam. Schritt für Schritt. Wie Flucht während eines Alptraums. Man kommt nicht schnell genug weiter.
Aber letztenendes schien es doch zu reichen. Ich rannte. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass mir niemand folgte. Vorerst.

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