Donnerstag, März 15, 2007

Fragment

Obwohl ich mich wirklich viel mit der Matrix beschäftigte, also, obwohl mich permanent das Alltags-Geschehen beschäftigte, die Politik, die aktuellen Verbrechen, die erschreckenden, alltäglichen Geschehnisse - obwohl ich also ein richtiger angefügter, aktiver Teil der Gesellschaft geworden war - fühlte ich mich in keiner Sekunde zu ihr zugehörig.
Ich fühlte mich von der Welt nicht angesprochen. Ich war halt auch da. Zwischenzeitlich amüsierte ich mich sogar. Aber ich fühlte mich wie eine kleine Luftblase irgendwo in der Schwärze des Meeres, tausende Meter unter der Wasseroberfläche. Ich wabberte vor mich hin. Ich blieb der Welt gegenüber permanent skeptisch. Ich traute ihr nicht und den Menschen schon gar nicht.
Es wäre wichtig gewesen, in dieser Zeit Abstand zu gewinnen. Auch Abstand zu mir selbst. Aber es war nicht möglich.
Die kreativen Ausblicke von den Gipfeln hoher, magischer Berge unter denen sich die sich seltsam verwölbende Wolkendecke über den Tälern erstreckte und magische Pilze die verschiedensten Farbmuster in den Himmel zauberten und der Wind über steile Latschenhänge heranbrauste und einen ein paar verdutzte Pferde und Kühe und Stiere anstarrten, diese Ausblicke lagen lange zurück. Vielmehr war ich gezwungen, in gehorsamer Pflichterfüllung ein arbeitsames - nicht arbeitsarmes - geregeltes Leben zu führen.
Nicht daß es mir wichtig war, nächtelang Parties zu feiern - das fand ich spießig - aber die Poesie und Einheit des Lebens zu erfahren, das ist schwierig geworden. Denn diese Zustände sind nur in Zurückgezogenheit und Momenten des Alleinseins möglich. Irgendwie war ich einfach gehorsam geworden und habe aufgehört, das zu tun, wovon einem der Rest der Welt abrät. Irgendwann hab ich angefangen, das zu tun, "was man einfach tun muss".
Und die Gehorsamkeit machte mich einsam. Innerlich. Äußerlich genauso. Einzig in der Welt des Schreibens war es möglich, die vielen Milliarden Synapsen zum Rest der Welt zu aktivieren. Die Stummheit der Zeit mit meiner Sprache zu erfüllen. Also erst die völlige Konzentration auf mein Innenleben, meine Gedanken, meine Ideen, meine Gefühle unter weitgehender Ausschaltung aller anderen Reize erfüllte mich mit dem Gefühl des irgendwo Zuhauseseins. Beim Schreiben hatte ich das Gefühl, etwas zu tun, was ich kann. Es fiel mir einfach nicht schwer. Es konnte den Rest des Lebens ersetzen. Und ich verstand Gott nicht, warum er mir nicht ein Leben bescheren wollte, indem ich mich genau dem widmen kann.
Ich hätte weiterfragen können, ob das Leben immer ein Arrangement zwischen der Leidenschaft und den physischen und psychischen Zwängen der Umwelt sein muß. Aber wer stellt heutzutage schon solche Fragen? Ganz ehrlich, wer gibt sich mit derartig virtuellen, hypothethischen und stümperhaft formulierten Fragen ab?

Nachdem die Spießigkeit unserer Zeit immer offenkundiger wird und die westliche Gesellschaft sich selbst immer mehr in einer ikonenhaften Verehrung von allem, was schön und sexy ist oder Spass macht, verliert, wird es auch immer schwieriger, Menschen zu finden, die es geschafft haben, von der globalen Werbe- und Medienindustrie, die ohnehin ein- und dassselbe ist, nicht zu sogenannten Performern umfunktioniert zu werden. Die gesellschaftlich absolut notwendige Prämisse: Du performst dich selbst! breitet sich nämlich viral in alle Richtungen aus.
Erfahrung wird nicht mehr selbst gemacht, sondern sie wird vermittelt. Was wissen wir heutzutage noch aus der ureigensten Erfahrung?

Ja, Freunde. So ist es. Eine Sache, über die ich immer wieder und auch den Rest meines Lebens schmunzeln werde, ist die Eifrigkeit und Verbissenheit, mit der sich die Menschen in unserem gemeinsamen, wackeligen Realitätskontrukt festbeißen. Wie bitterernst sie es nehmen können. Zu wieviel Dummheit sie fähig sind, weil sie nicht imstande sind, die ewige, allmächtige, hinter allem stehende Leere zu erkennen, zu erahnen, ihr zuzuhören und sie gelegentlich, in den kurzen Momenten zwischen der eifrigen, ameisenhaften Betriebsamkeit, aufzusuchen und in ihr zu schwelgen.

Sollte nicht das Ziel jedes ernstgemeinten Strebens darin bestehen, alle Konstrukte, Wertungen, eingeprägten Verhaltensmuster und persönlichen Festgefahrenheiten, also alles was uns begrenzt, irgendwann, wenn wir es wollen und bereit dafür sind, freisprengen zu können?