Montag, Oktober 22, 2007

Tag

Grauer Tag erscheint,
wie Krähentanz am Fensterrand,
ein schwarzer Schnabel schnappt.

Abseits jeden Tuns
eine andere Welt herrscht hier
soviel Zeit - mehr als Geld.

Wie rote Rosen
öffnet sich der Geist ganz leicht
um tief Luft zu holen.

Gerüchte von der Welt
Bringt das Summen der Straßenbahn.
Klingelnd poltert sie weiter.

Dienstag, Oktober 16, 2007

Andere Welten

Andere Welten. Immer wieder stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit anderer Realitäten, die wie einzelne Spuren in einer komplexen Komposition nebeneinander herlaufen.
Doch konkret in ihrer Erscheinung lassen sich die Dinge nicht immer so leicht aussprechen - eher in ihrer Umschreibung entfalten sie sich in ihrer formlosen Existenz - lassen sich vermitteln durch die Beschreibung dessen, was sie nicht sind.
Aber gibt es überhaupt irgendetwas zu sagen?
Wäre nicht wieder einmal das nackte Schweigen die passendste Antwort - der einzig berechtige Ausdruck meines Erlebens. Zumindest der Fehlerfreiste. Doch der Fehler ist doch der Entscheidende Teil des Lebens. Jenes Ungleichgewicht, das die Energie freisetzt, die wir brauchen, um Gleichgewicht herzustellen.
Diese Energie ist die Essenz. Oder vielleicht auch nicht.
Irgendwann, so wird es manchmal klar, kommt der Zeitpunkt, wo radikale Veränderungen und Neu-Gewichtungen notwendig sein werden.
Was das heißen soll, kann nicht einfach so gesagt werden. Zu sensibel ist das Ritual, in dem die Dinge zur Entstehung vorbereitet werden.
Gewißheit und Vertrauen ist der direkteste Weg zur Freiheit seiner Selbst.
Wege dieser Welten verbinden mich und uns mit anderen Welten.

Donnerstag, Oktober 11, 2007

Tag - Nacht

Spät. Immer später wird es täglich.
Immer schneller eilen wir.
Laut kreischt die U-Bahn unter der Erde rasend.

Immer lauter wird das Keuchen und Rascheln in tiefem Wurzelwerk,
Hastig fließt das Leben irgendwo zusammen,
immer lauter die polternden Geräusche
aus einer fernen anderen Welt.

Mühselig und ahnungslos graben sich die Würmer
und Mikroben milliardenfach
hinab ins Finstere.

Immer stiller wird es dort, ein seltenes Stöhnen nur
erfüllt den prallen, steinernen Raum.
Wo einst die Steine rollten und jetzt Lebens-Adern hindurchziehen.

Klar zu hören der Keim noch ungeahnter Wundertaten.
Knirschend erhebt sich mit lautem Gähnen
Der Geist, den niemand kennt noch sehen mag.

Bloß ein erstes Poltern verklingt
noch ungehört in den schwarzen, ewigen Röhren
unter Städten und Feldern, wie ferner Trommelschlag.

Mittwoch, Oktober 10, 2007

Nach langer Rast

Nach langer Rast bleibt im kurzlebigen Alltag keine Zeit - keine Zeit, welch schlimmer Ausdruck - um um die Essenz und die großen Fragen kreisende Gedanken auszuspinnen. Vergänglich und in einfacher Jetztheit geschehen die Dinge. Sie geschehen einfach und berühren manchmal und manchmal auch nicht. Sie sind - und die Hinnahme ihres Seins ist die letzte Wahrheit, die über bleibt am Ende eines langen Tages, der nunmehr immer früher sich zur Nacht gestaltet.

Das Leben berührt einen auf die eine oder andere Weise.

Grün erleuchtet ist dies Haus und
silbern funkelt Sternenmeer am Himmel
Eine Frau kichert kurz nur und still.

Und dies noch lange klingt in meinem Ohr
und lässt Geschichten rasch entstehen, die
noch lange nicht geschehen sind. Bloß Phantasien.
Ein geheimnisvolles Tor.

Mittwoch, Juni 27, 2007

Kristallwellen

Das Mal schmerzte seit wenigen Tagen. Und mit Entsetzen stellte ich fest, dass man - bei genauem Hinsehen - seine Spuren unter meiner Haut erkennen konnte. Sie waren grün-blau, ganz fein, schön auf ihre Weise. Aber für mich war es nur grausam. Ich musste mich immer öfter langärmelig und zugeknöpft anziehen. Bei Schönwetter konnte ich gar nicht außer Haus gehen - da im direkten Sonnenlicht die Äderchen wie kleine bunte Kristalle auf meiner Haut zu glänzen begannen.
Zuerst erfüllte mich das Mal mit einer unsagbaren Wut. Sie brodelte und loderte wie ein Höllenfeuer in mir. In einem Anfall zertrümmerte ich sogar das Inventar meiner Wohnung - unserer Wohnung. Ich wohnte ja noch mit Annabell und unserer Tochter zusammen und das machte alles noch schlimmer. Und dann war ich verzweifelt. Leer.
Es gibt wohl kein umfassenderes Gefühl der Einsamkeit als dieses.
Ich musste anerkennen, dass ich der bizarrste Mensch der Welt war - mit einem Mal auf meinem Körper, das Kristallfarbene Spuren über meinen Körper zog, die im Sonnenlicht zu glitzern begannen.
Was für eine beschissene Situation. Und dann begann das Teil auch noch, mir Schmerzen zu bereiten. Es war nicht schlimm. Zunächst. Aber was, wenn es schlimmer werden würde?
Also ging ich wieder einmal in die Kathedrale. Nach langer Zeit. Mein Leben fing an, wieder normal zu werden. Das heißt: Es hatte gerade angefangen wieder normal zu werden. Es ist doch immer so: Man denkt sich, aus der Klemme kommt man doch immer irgendwie. Und die Typen, die nicht aus der Klemme kommen, leben ganz weit weg oder sie sind Filmcharaktere. Man liest über ihr Schicksal in Zeitungen vielleicht. Aber REAL passierte einem für gewöhnlich nichts. Außer dass man irgendwann stirbt. Und schon gar nicht trifft man eine Frau wie Ella oder die seltsamen Typen in der Gegend, wo sie wohnt. Und man muss auch keine Pakete irgendwo ablegen für nichts. Und schon gar nicht taucht einem am Körper ein schwarzer Fleck auf, der dann seine Spuren zieht und einen in den Wahnsinn treibt.
Jedenfalls: Ich machte mich am Weg in die Kathedrale. Vielleicht sollte ich beichten, dachte ich mir, als ich losging. Ja. Möglicherweise hatte ich einiges zu beichten und der Priester würde mir helfen können. Auch wenn er mir damals als eher komischer Kauz in Erinnerung geblieben ist.

Mittwoch, Juni 20, 2007

Urknall

Ganz plötzlich war der seltsame Fleck auf meinem Körper wieder da. Zuerst dachte ich, es handelt sich um ein Muttermal. Aber dann bemerkte ich, wie er - oder es - über oder besser gesagt unter meiner Haut weiterwanderte.
Besonders unangenehm war es, wenn er plötzlich auftauchte, während ich mit jemanden bei Tisch saß oder ein Gespräch führte. Ich konnte ja nicht jedem über diese unangenehme Erscheinung aufklären. Viele taten so, als würden sie nichts bemerken, andere verliesen entsetzt das Lokal und meldeten sich nie wieder bei mir.
Der Fleck ist immer gleich groß, er schmerzt nicht. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel.
Mein ganzer Körper ist übersäht von tiefen Kratzwunden - Zeichen meiner vergeblichen Versuche, den Fleck aus mir herauszuschälen, ihn wegzukratzen. Das unheimliche Stigma wegzumachen. Leider ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen.
Aufgetaucht ist er, nachdem ich Ella begegnet bin. Also eigentlich, nachdem ich das seltsame Paket von dem unheimlichen Typen erhalten habe. Aber - so hoffe ich - vielleicht weiß der Priester aus der Kathedrale, wie ich das Ding loswerden kann. Immerhin, so habe ich zuletzt gehört, soll erja Hellseher sein.

Urknall

Ganz plötzlich war der seltsame Fleck auf meinem Körper wieder da. Zuerst dachte ich, es handelt sich um ein Muttermal. Aber dann bemerkte ich, wie er - oder es - über oder besser gesagt unter meiner Haut weiterwanderte.
Besonders unangenehm war es, wenn er plötzlich auftauchte, während ich mit jemanden bei Tisch saß oder ein Gespräch führte. Ich konnte ja nicht jedem über diese unangenehme Erscheinung aufklären. Viele taten so, als würden sie nichts bemerken, andere verliesen entsetzt das Lokal und meldeten sich nie wieder bei mir.
Der Fleck ist immer gleich groß, er schmerzt nicht. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel.
Mein ganzer Körper ist übersäht von tiefen Kratzwunden - Zeichen meiner vergeblichen Versuche, den Fleck aus mir herauszuschälen, ihn wegzukratzen. Das unheimliche Stigma wegzumachen. Leider ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen.
Aufgetaucht ist er, nachdem ich Ella begegnet bin. Also eigentlich, nachdem ich das seltsame Paket von dem unheimlichen Typen erhalten habe. Aber - so hoffe ich - vielleicht weiß der

Mittwoch, Juni 06, 2007

Explosion

Wie eine Bombe schlägt neben mir mit voller Wucht das Leben ein.
Der Weg, den ich beschreiten wollte - existiert nicht mehr.
Das Schreckgespenst immer schon gedachter
anderer Möglichkeiten
materialisiert sich übergroß.
Als Traum getarnt stülpt sich ein anderes Leben nun über meins.
Als wäre es aber nicht meins.
Nicht mehr.
Als Netz.
Als nicht möglich.
Als plötzlich echter und spürbarer, obwohl nicht angreifbar.
In mir also bereits das Bild einer anderen Realität.
Der Explosion.
Anders als bereits das Bild in mir also die Realität.
Wie eine Bombe schlägt das Leben in mir ein.
Verlockend. Gefährlich. Brutal.
Als wäre ich selbst diese Bombe.
Als würde ich voller Sprengstoff des Lebens in andere einschlagen.
Immer ist es so, dass die Menschen miteinander explodieren und ineinander
in die Luft gehen.
Wir leben in einer permanenten, ultimativen, gegenseitigen Auslöschung.
Es ist wie mit den Kriegern Gottes.
Die wahre Allmacht des Lebens liegt in den Händen anderer.
Bereits ein Blick in die Augen von Anderen kann alles verändern.

Sonntag, Juni 03, 2007

Eskalation der Liebe

Ein Donnergrollen mengt sich in das krachende, klirrende, hypnotische Klanggewitter - den zur Chaossymphonie gemixten Maschinenlärm, der sich wie ein Pilzgeflecht um den gleichmäßigen, aber viel zu schnellen Herzrhytmus schmiegt. Darin, wie tanzende Bojen auf den Wogen des Meeres, die Menschen, die schon Teile der Musik geworden sind, magnetisch angezogen von den unsichtbaren Kraftlinien, die den 40.000 Watt-Boxen entgleiten, die ihre Knoten und Netze bilden, fast schon Marionetten-Leinen sind.
Plastische Formen, organische Muster, Anti-Strukturen auf einer Waldlichtung unter dem freien Sternenhimmel, der Messgesang für die Lichtjahre weit weg liegenden, vielleicht schon nicht mehr existierenden Sterne, die wie Augen, Risse im Himmelszelt herunterstarren.
Nur noch die Erinnerung an sie erreicht diesen entlegenen Ort, der sonst vereinzelte Seelen anzieht, die ein rotbeleuchtetes Haus besuchen, indem die Liebe gegen Geld konsumierbar ist. Hinter vereinzelten Fenstern brennt Licht, hie und da blickt eine der Frauen, die den Männern sexuelle Freuden schenken, hinter dem Vorhang hervor.
Die Tausenden Anderen aber stehen im Bann der Musik, die - je mehr man sich ihr nähert ein komplexes, vielschichtiges Gebilde wird, jedem einen Zipfel zum Festhalten bietet und bei größerer Distanz nur noch ein sich ins Hirn bohrendes Wummern ist.
Es ist finsterste Nacht.
Und auch hier kann in wenigen Momenten eine Verbindung entstehen, eine Art Knoten. Eine Anziehung. Nicht aufzulösende Verknüpfungen von Geistern, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind und nur ein gemeinsamer Geist sein wollen.
Aus dem Nichts heraus entwickelt sich die sonst so wählerische geheime Schriftrolle der Liebe und spielt ihr endloses Spiel.

Es gibt vieles zu sagen.
Zu tun.
Und nicht zu sagen.
Zeit als Kraft von verschwindender Wichtigkeit.
Und Augenblicke die nicht zu messen sind.
Blau der Kanon der Nacht.
Nur in Beats bewegt das Leben sich fort.
Wie leise Schritte
die einander näherkommen.
Geschmack der Vergänglichkeit.
Behutsame Schritte über ein unebenes Feld.
Das Dach des Zeltes flattert im Wind.
Kurz hebt sich der Schranken
in dessen Grenzen wir uns sonst bewegen.
Hätte man die Hand ergreifen sollen?
Oder ist es einfach so gekommen -
wie es schon immer sein sollen hat?
Soll es - klingt die Frage laut - die faszinierte Suche nach etwas bleiben -
das sich nach Ausdruck sehnt?
Ein Rätsel zum Rätseln gemacht?

Später plätschert der Regen gegen die verschmierte Fensterscheibe. Im Licht des frühen Morgens stolpern die blassen Gesichter, die nun blutleer und dem Tod näher als dem Leben scheinen, in Regenpfützen auf und ab.
Kochende Teekessel. Musik. Der Herzrhymtus - doch in einer Form, die nur vortäuscht das beruhigende Pochen eines Mutterherzens zu sein. Immer noch Menschen, die der Musik ausgeliefert sind, deren Körper selbst schon Klang geworden ist.
Irgendwo - doch wo? - scheint die Sonne zu scheinen. Spendet ein Licht, das alles in bläuliche Farbe taucht. Donnergrollen, als würde es in den Rhytmus der Musik einstimmen. Doch es ist jetzt viel mächtiger als alles andere. Als würde die Musik zum Instrument der Natur verkommen. Eben erst erwacht - die Täler und Berge, die Wälder und Wiesen.
In vollkommener Stille liegt die Welt vor mir.

Mittwoch, Mai 16, 2007

Ein Unbekannter

Ich begann unbehaglich zu lächeln. Mit offener Neugier konnte man sich manchmal aus solchen Situationen retten und der eine Zahn, den ich da zu Gesicht bekam von dem seltsamen Typen, der war sehr spitz. Zu spitz jedenfalls, um natürlich gewachsen zu sein.
Davonlaufen war jedenfalls keine Alternative. Dann würde mir der Unbekannte seine stahlscharfen Hauer von hinten in die Schultern reinjagen und das wollte ich auch nicht. Auch wenn der Schmerz gleich groß sein würde, egal ob ich von vorne oder hinten gebissen und vielleicht gefressen werde. Wenn mir so ein Tod überhaupt vorherbestimmt war.
"Was machst du da?" fragte der Unbekannte forsch.
"Ich bin am Heimweg." sagte ich höflich.
"Woher kommst du?"
"Ich habe eine Bekannte von mir hierhergebracht."
"Aber ist es nicht ein bisschen spät, um sich in so einer Gegend noch so spät rumzutreiben?"
"Wir wurden vom Orkan aufgehalten."
"Der Orkan. Ich verstehe."
"Und ich muss jetzt zurück zur Kathedrale."
"Achso?"
"Wer bist du eigentlich?" rutschte es plötzlich aus mir heraus.
Mein Gegenüber lachte, plötzlich sagte er mit einer leicht irren Stimme:
"Ich bin der Ich-weiß-nicht-wer...!"
Und plötzlich fingen die Augen von dem Unbekannten an zu leuchten. Oder es war, weil er den Kopf etwas neigte und so das Licht einer flackernden Strasselaterne auf einen Teil seines Gesichts fiel und es erhellte. Ich glaubte, tiefe Furchen darin zu erkennen, vielleicht waren es aber auch Formen, die die eigene Phantasie in das GEsicht eines Menschen zeichnen konnte, wenn es dunkel war und man besondere Angst hatte.
In seinem Blick lag jedenfalls ein ungewöhnliches, intensives Leuchten - ein bohrender Blick, der wie ein Laserstrahl mein Innerstes zu zerschneiden schien. Ein Blick, hinter dem aber auch kaum etwas zu finden war, das mir vertraut menschlich erschien.
"...aber vielleicht bin ich auch einfach nur...ein etwas anderer Mensch. Es ist nicht wichtig."
Es musterte mich eindringlich. Es schien mir, als würde er abwägen, ob er mich jetzt töten soll, oder nicht. Ich versuchte seinem Blick standzuhalten.
"Du solltest etwas vorsichtiger sein." sagte er dann.
"Nimm das mit." sagte er dann. Er hielt mir ein Paket hin. Es war ein Karton in ein unauffälliges ocker-farbenes Papier gewickelt. Das Paket hatte ein spürbares Gewicht, ohne dass sich darin etwas zu rühren schien.
"Lass es irgendwo liegen. Bis es jemand aufhebt und seinerseits mitnimmt. Vergewissere dich, dass es nicht dort liegenbleibt, wo du es liegenlässt. Erledige das Morgen. Wenn du das nicht tust, werde ich dich töten, wenn du das nächste Mal mit Ella unterwegs bist. Und sie werde ich vielleicht auch umbringen. Vielleicht werde ich es aber auch so einrichten, dass ihr beide einfach nie gewesen seid. Dann ist nachher niemand traurig, falls du verstehst, was ich meine."

Mittlerweile hatte sich wieder völlige Dunkelheit über das Gesicht des Unbekannten gesenkt. Ich konnte seine Blicke auf mir aber spüren. Es war als würde er einen nicht klar erkennbaren kalten Kern in mir deponieren.
Anders kann ich es nicht in Worte fassen. Ich verlies diesen Ort und wusste, dass soeben etwas geschehen war, was mein Leben weiterhin verändern würde. Ich hatte nun einen Punkt überschritten, über den ich nie wieder würde zurückgehen können. Allerdings war dieser Punkt schon viel früher von mir überschritten worden. Ich merkte es nur erst jetzt.

Dienstag, Mai 08, 2007

Ein Fetzen von Erinnerung

Da gab es Fetzen von Erinnerungen. Flüchtige Gerüche, eher Blitze ganz tief unter der Schwelle des Bewusstseins. So ein Kräuseln auf der spiegelglatten Oberfläche des Meeres. Und man konnte einen Blick hinunterwerfen. In eine Art Nichts. In einen Korridor einer aus den Fugen geratenen Welt. In das Gebälk und die metallische Konstruktion einer immerzu grinsenden Weltfratze, die mit unablässlich auf uns herabsausenden Sensenklingen eine satte Ernte einfuhr, geköpfte Körper und in Blut getränkte Weizenfelder auf der obersten Schicht einer Leinwand hinkleckste. Sie lies die Bilder und Gesichter vergangener Zeiten und geschlagener Schlachten einfach so erstehen. Sie lies die Millionen sinnlos Gestorbener nocheinmal leben. In einer Art Gefühl, das einen einfach so erfassen konnte. Wie die vagen Konturen von Langstrecken-Jets auf den strahlend weißen, blendenden Wolkendecken, die ganz plötzlich ganz nahe springen konnten und dann aber wieder kilometerweit weg waren. Auf einer trügerischen Erhebung im Nichts, wollte man hinspringen - die Wolken würden ohne besondere Reaktion zur Seite weichen, dich durchlassen. Du würdest tausende Meter tief hinunterfallen und egal ob dann unter dir Wasser, Erde, Eis, Feuer oder Sand liegen würden, der Aufprall würde dich zerfetzen.
Nichts würde übrig bleiben, außer einem roten, gräßlichem Fleck. Ein unrühmliches Ende.

Da gab es also diese Erinnerungen. Da gab es also die Fetzen von Erinnerung. Und sie stiegen in mir empor, wie die Flut es im kleinsten Meer täglich tut. In diesen Momenten, wenn die Wahrnehmung gesteigert ist, die Tautropfen auf den Blättern eines morgendlichen Waldes sich im Sonnenlicht spiegeln, die ersten zarten Sonnenstrahlen vom aufsteigenden Nebel und dem Adergeflecht der Laubbäume in die einzelnen Stimm-Fasern gebrochen werden, oder ein verschüchterter Feuersalamander über die feuchten Wurzeln kriecht, dann können sie jederzeit kommen. Falls ihr versteht, was ich meine. Genauso können jederzeit die Momente im Leben kommen. Wie Tore, wie elektrische Glastüren, bei denen man nicht bemerkt, wenn man durch sie hindurch geschritten ist.
Es ist eine Art bekiffte Autofahrt durchs Leben.
Du weißt nie, was wirklich passiert. Man erkennt die Dinge meistens erst im Nachhinein, nicht wahr?
Du kannst dich nur an dir selbst festhalten. Wenn die Fetzen von Erinnerung dir um die Ohren wirbeln. Wenn der Chor an monotonen Stimmen dir einflüstert, was deine Gegenwart ist. Wenn dieser Chor langsam anschwillt zu einer ultradramatischen Wagner-Symphonie, die er im Fiebewahn auf einem Synthesizer hinkomponiert hat - wenn dein ganzes Leben und die Fetzen der Erinnerung zum ultimativen Orkan deiner selbst anstimmen und du wie ein Holzschiffchen in der Frühjahrsbrandung des entfesselten Atlantik dahintaumelst in deinem bescheidenem, aber fröhlichen - weil nichts erkennenden - Rhytmus, dann kannst du getrost deine Augen wieder öffnen und die Arme ausstrecken und den Geruch aus deiner Kindheit riechen, die Geräusche deines Kindheitshauses hören und wenn du willst auch deine Zukunft und die der gesamten Menschheit im Vorhinein schauen. Nichts wird dich je erschüttern, falls du verstehts was ich meine.

Das sagte Ella zu mir. Etwas in der Art. Sie sagte es aber nicht banal verbal. Das Gespräch fand an einem anderen Ort statt. Es war ein Austausch der Ideen. Danach schwieg sie. Es gab nichts mehr zu sagen. Ich brauchte sehr lange, um all das niederzuschreiben. Ich war mir auch lange nicht sicher, ob ich den Weg zurück in die normale Welt schaffen würde. Und ich traue meinem aktuellen Jetzt auch immer noch nicht. Ich tappe immer noch vorsichtig und mißtrauisch auf dem Glatteis der Realität dahin und rechne jeden Moment mit dem Erdspalt, der mich hinabreißt. Oder noch schlimmer, aus dem heraus all die Andersartigkeit von Ellas Welt herausströmen könnte. Ich traue dem Schreiben nicht. Ich weiß nicht, ob es gefährlich für mich ist. Ich weiß es einfach nicht.
Ella gab mir danach einen Kuss. Ihr Körper war ganz leicht und fühlte sich ganz zerbrechlich an. Der Kuss fühlte sich an, als würden erst dadurch unser beider Herzen vollkommen aufgesperrt werden. Aus ihren beengenden körperlichen Umfassungen befreit werden. Und dennoch spürte ich auf jeder Pore meines Körpers, wo sie mich berührte und wo nicht, wie sie mit jeder Faser bebte, gegen mich drängte und vor mir zurückwich. Ich kann es nur so beschreiben.
Irgendwann kamen wir wieder in ihre Straße, wo sie wohnte. Nicht weit weg von der Kathedrale. Hinter den Fenstern der Häuser glaubt ich jetzt diese seltsamen Typen, von denen sie mir immer erzählte, zu erkennen. Mir war, als würden sie grinsen. Sie meinte, ich sollte mit ihr mitkommen. Aber das konnte ich nicht. Ich musste nach Hause. Jemand wartete dort auf mich.
Sie lächelte mir zu, ehe sie die Tür zu ihrem Haus verschloss.
Als ich mich umdrehte, hörte ich Schritte, konnte aber niemanden sehen. Plötzich trat eine rießengroße Gestalt auf mich zu. Es war finster, ich konnte das Gesicht nicht erkennen. Plötzlich begann eines der eiskalten Augen im Mondeslicht aufzublitzen.

Mittwoch, Mai 02, 2007

Rosige Aussichten

Die Illusion von Information. Das ist doch das eigentliche Schlagwort unserer Zeit. Wir wissen. Aber was wissen wir wirklich? Drei Viertel der Erfahrung sind vermitteltes Wissen. Also gefiltert. Und dieses Wissen befasst sich zum größten Teil mit der Matrix. Unserem Konstrukt. Unserer Kultur.
Aber öffnet es uns die Augen in jene anderen Welten und Fraktale, die den Motor der Welt ausmachen? Wird unser Wissen über uns selbst in irgendeiner Form vergrößert? Versagen wir nicht zunehmend, wenn es darum geht, uns selbst zu hinterfragen?
Ich habe den Eindruck, alles rundherum läuft darauf hinaus, den Menschen zu einer funktionstüchtigen, arbeitseifrigen und ehrgeizigen Arbeitsmaschine umzufunktionieren. Wenig wird aber getan, um klarzustellen, dass alles nur auf Täuschung beruht.
Viel mehr sollte gar nichts gesagt werden. Für eine bestimmte Zeit. Es sollte geträumt werden. In Stille. Das würde mehr Spass machen.

Noch etwas. Als ich das letzte Mal an der Kathedrale vorbeigekommen bin, begegnete ich einem Priester. Er ist Hellseher denke ich, da er wirres Zeug redete, das kurze Zeit später wirklich passierte. Aber darauf komme ich ein anderes Mal zurück. Jedenfalls ist die Geschichte mit Ella noch nicht vorbei. Aber sie ist immer komplexer geworden.

Donnerstag, März 15, 2007

Fragment

Obwohl ich mich wirklich viel mit der Matrix beschäftigte, also, obwohl mich permanent das Alltags-Geschehen beschäftigte, die Politik, die aktuellen Verbrechen, die erschreckenden, alltäglichen Geschehnisse - obwohl ich also ein richtiger angefügter, aktiver Teil der Gesellschaft geworden war - fühlte ich mich in keiner Sekunde zu ihr zugehörig.
Ich fühlte mich von der Welt nicht angesprochen. Ich war halt auch da. Zwischenzeitlich amüsierte ich mich sogar. Aber ich fühlte mich wie eine kleine Luftblase irgendwo in der Schwärze des Meeres, tausende Meter unter der Wasseroberfläche. Ich wabberte vor mich hin. Ich blieb der Welt gegenüber permanent skeptisch. Ich traute ihr nicht und den Menschen schon gar nicht.
Es wäre wichtig gewesen, in dieser Zeit Abstand zu gewinnen. Auch Abstand zu mir selbst. Aber es war nicht möglich.
Die kreativen Ausblicke von den Gipfeln hoher, magischer Berge unter denen sich die sich seltsam verwölbende Wolkendecke über den Tälern erstreckte und magische Pilze die verschiedensten Farbmuster in den Himmel zauberten und der Wind über steile Latschenhänge heranbrauste und einen ein paar verdutzte Pferde und Kühe und Stiere anstarrten, diese Ausblicke lagen lange zurück. Vielmehr war ich gezwungen, in gehorsamer Pflichterfüllung ein arbeitsames - nicht arbeitsarmes - geregeltes Leben zu führen.
Nicht daß es mir wichtig war, nächtelang Parties zu feiern - das fand ich spießig - aber die Poesie und Einheit des Lebens zu erfahren, das ist schwierig geworden. Denn diese Zustände sind nur in Zurückgezogenheit und Momenten des Alleinseins möglich. Irgendwie war ich einfach gehorsam geworden und habe aufgehört, das zu tun, wovon einem der Rest der Welt abrät. Irgendwann hab ich angefangen, das zu tun, "was man einfach tun muss".
Und die Gehorsamkeit machte mich einsam. Innerlich. Äußerlich genauso. Einzig in der Welt des Schreibens war es möglich, die vielen Milliarden Synapsen zum Rest der Welt zu aktivieren. Die Stummheit der Zeit mit meiner Sprache zu erfüllen. Also erst die völlige Konzentration auf mein Innenleben, meine Gedanken, meine Ideen, meine Gefühle unter weitgehender Ausschaltung aller anderen Reize erfüllte mich mit dem Gefühl des irgendwo Zuhauseseins. Beim Schreiben hatte ich das Gefühl, etwas zu tun, was ich kann. Es fiel mir einfach nicht schwer. Es konnte den Rest des Lebens ersetzen. Und ich verstand Gott nicht, warum er mir nicht ein Leben bescheren wollte, indem ich mich genau dem widmen kann.
Ich hätte weiterfragen können, ob das Leben immer ein Arrangement zwischen der Leidenschaft und den physischen und psychischen Zwängen der Umwelt sein muß. Aber wer stellt heutzutage schon solche Fragen? Ganz ehrlich, wer gibt sich mit derartig virtuellen, hypothethischen und stümperhaft formulierten Fragen ab?

Nachdem die Spießigkeit unserer Zeit immer offenkundiger wird und die westliche Gesellschaft sich selbst immer mehr in einer ikonenhaften Verehrung von allem, was schön und sexy ist oder Spass macht, verliert, wird es auch immer schwieriger, Menschen zu finden, die es geschafft haben, von der globalen Werbe- und Medienindustrie, die ohnehin ein- und dassselbe ist, nicht zu sogenannten Performern umfunktioniert zu werden. Die gesellschaftlich absolut notwendige Prämisse: Du performst dich selbst! breitet sich nämlich viral in alle Richtungen aus.
Erfahrung wird nicht mehr selbst gemacht, sondern sie wird vermittelt. Was wissen wir heutzutage noch aus der ureigensten Erfahrung?

Ja, Freunde. So ist es. Eine Sache, über die ich immer wieder und auch den Rest meines Lebens schmunzeln werde, ist die Eifrigkeit und Verbissenheit, mit der sich die Menschen in unserem gemeinsamen, wackeligen Realitätskontrukt festbeißen. Wie bitterernst sie es nehmen können. Zu wieviel Dummheit sie fähig sind, weil sie nicht imstande sind, die ewige, allmächtige, hinter allem stehende Leere zu erkennen, zu erahnen, ihr zuzuhören und sie gelegentlich, in den kurzen Momenten zwischen der eifrigen, ameisenhaften Betriebsamkeit, aufzusuchen und in ihr zu schwelgen.

Sollte nicht das Ziel jedes ernstgemeinten Strebens darin bestehen, alle Konstrukte, Wertungen, eingeprägten Verhaltensmuster und persönlichen Festgefahrenheiten, also alles was uns begrenzt, irgendwann, wenn wir es wollen und bereit dafür sind, freisprengen zu können?

Samstag, Februar 17, 2007

Der Flug durch Raum und Zeit

Ich folgte Ella. Natürlich folgte ich ihr. Was für ein Idiot wäre ich gewesen, wenn ich in dem dreckigen Loch vor dem Haus geblieben wäre. Vielleicht aber wäre es auch klüger gewesen, zu bleiben, wo ich war. Ich hätte über den Sinn der Welt nachdenken können. Ich hätte mir unzähliche tausende Fragen stellen können. Meine jetzige Situation wäre sicherlich nicht so kompliziert, wie sie jetzt ist. Ich meine aber, das, was bleibt, ist klar: Es gibt Zufälle. Also Situationen, die einen emotional und auch spirituell in sonst selten vorkommende Zustände versetzen können. Es gibt Situationen, die einfach passieren, und danach ist das Leben anders, als es vorher war. Es muss aber gesagt werden, dass der der Zufall nur die Voraussetzungen schafft. für bestimmte Handlungen. Er zwingt uns nicht. Er ist ein Angebot.
Aber ihr werdet nicht glauben, was noch alles passieren würde. Also wartet getrost den weiteren Verlauf der Geschichte ab.

Montag, Jänner 29, 2007

Lauf des Lebens

Lange schauten wir uns einfach nur an. Irgendwie schien Ella zu lächeln, obwohl ihr Gesicht als solches ernst aussah. Aber ihr Wesen lächelte. Jenes Wesen hinter der Oberfläche ihrer Körperlichkeit. So gesehen hatte ich zum ersten Mal seit langem ein besonderes Gesicht vor mir. Der tosende Lärm des Orkans verkam zu einem bedeutungslosen Wimmern im Hintergrund. Mein Herz raste immer noch.
"Hallo." sagte ich, in der Hoffnung nicht irgendwie albern oder unsicher zu wirken.
"Hallo." sagte sie in einer Weise, die irgendwie nicht in die Situation passte. Immerhin waren wir beide gerade einem Orkan entkommen, standen da in einer kleinen Nische und versuchten gleichzeitig normal zu wirken. Wobei ich richtigerweise sagen muss: Ich versuchte normal zu wirken. Ihr war es glaube ich, ziemlich egal.
"Der Orkan hätte mich fast weggerissen." erklärte ich ihr betont gleichmütig.
"Glück gehabt." sagte sie.
In ihren dunklen, braunen Augen lag ein ganz bestimmter Glanz, so daß man glauben konnte, hinter der Oberfläche ihrer Augen, ihrer Iris würde es noch weit, weit weiter gehen. Als wäre ihr Körper bloß die Ausformung einer anderen Ebene. Gleichsam das Tor in eine andere Form des Bewusstseins. In der Nähe dieser Frau zu stehen, fühlte sich an, wie ganz knapp vor der Türe in einen Keller, oder auch einen verschlossenen Paradiesesgarten. Ganz schwach war ein Hauch von dieser anderen Welt zu bemerken. Der Funke einer Idee von einer anderen Welt.
"Ich hab mir schon gedacht, dass du dich heute nacht hier rumtreiben würdest." sagte Ella.
"Ich wollte heim." erwiderte ich empört.
"Ja. Irgendwohin. In irgendein irgendwohin. Das sieht man dir schon an. Und jetzt bist du da."
"Ja. So eine Überraschung."
Ella erhob sich leichtfüßig von ihrer hockenden Position am Boden und ging plötzlich an mir vorbei. "Ich gehe jetzt."
Sie drehte sich zu mir. "Komm mit, wenn du magst." sagte sie und sah mich dabei mit einem Hauch von Hochmut an.
Dann verschwand sie in dem wieder laut anschwellendem Tosen des Orkans, dessen Gebrüll nun zu einer furchtbaren Symphonie von Ellas anderer Realität anschwoll.

Donnerstag, Jänner 18, 2007

Der Orkan

Es war schon spät, als ich mein eigentliches Ziel, die Kathedrale, erreichte. Ein Scheinwerfer warf ein bleiches Licht auf die verwitterten Gemäuer des Gebäudes. In einem der Zimmer hoch oben am Hauptturm brennte ein Licht. Vor dem Portal war bereits das Gittertor aufgezogen. Nur noch durch eine kleine Tür konnte man das Gotteshaus betreten. Ich huschte hinein.
Nachdem ich die schwere Holztür aufgedrückt hatte und im Raum stand, hielt ich zunächst völlig inne. Zunächst fiel mir niemand auf. Erst als ich aus dem Dunkel in den Bereich trat, der vom Licht hunderter flackernder Kerzen beleuchtet wurde, sah ich die regungslose, geradeaus starrende Gestalt des Kirchenhüters. In seiner Hand hielt er einen großen Schlüsselbund. Sein Gesicht war irgendwie seltsam geformt, die Nase war im Vergleich zum Gesicht eher langgezogen. Seine Augen traten weit aus den Augenhöhlen hervor, seine Lippen hatte er hart aufeinander gepresst. Trotz seiner Anwesenheit hatte ich aber nicht das Gefühl irgendwie gestört zu sein. Der Hüter war halt auch da. Mehr nicht.
Die alte Frau, die immer da saß und den Kopf gesenkt hatte und die auch schon seit Wochen tot sein könnte, erblickte ich ebenfalls. Ich zog keinen Moment in Erwägung, dass sie auch gestorben sein könnte. Weit vorne, hinter dem Altar, leuchtete in schwachem Licht die Abbildung einer Heiligengestalt.
Was machte ich hier eigentlich?
In Wahrheit hat mich der Hunger hierher getrieben. Ein unstillbares Gen in mir, das stets das Eintreten des Besonderen erwartet. Aber war nicht schon genug geschehen? Überall sah ich in Abbildungen der Heiligen Jungfrau Maria, und in das Antlitz von Jesus und in das goldene Dreieck, das Gott darstellen sollte. Überall diese gütigen Blicke, die aber tief in mich schauen konnten. So fühlte es sich zumindest an. Sie blickten tief in mein Inneres und bewerteten es aber nicht. Dadurch fühlte ich mich noch elender. Vielleicht war das die Psychologie von Religion. Mir kam der Gedanke an den Alten. Er war schon tot, da war ich mir ziemlich sicher. Und ich war mir auch ziemlich sicher, dass er nicht an diesem Ort herumschwebte. Das würde nicht zu ihm passen. Wahrscheinlich würde der arme Teufel irgendwo im Universum herumschwirren und immer noch nach dem was wir Liebe nennen suchen. Oder nach dem, was er meint, dass Liebe ist. Oder er existierte nicht mehr. Das war auch möglich.
Irgendwann fragte ich mich, ob Ella in der Nähe war. Es fiel mir immer noch schwer, mir klar darüber zu werden, was ich über die Begegnung mit ihr denken sollte. Und ob ich ihre Nähe überhaupt suchen sollte. Ich verließ die Kirche wieder, ohne das Gefühl zu haben, überhaupt in ihr drinnen gewesen zu sein. Mein Kopf war voll mit anderen Dingen.
Draußen zogen bereits die ersten Wolken eines gewaltigen Orkans auf. Die Farben des Himmels waren irreal. In Gelb erstrahlten die Häuser, die um die Kathedrale standen, obwohl es trotzdem Nacht war. Erste Sturmböen rüttelten an Straßenlaternen und Zeitungsständern. Die Atmosphäre war plötzlich sehr energiegeladen. Man konnte förmlich die Spannung spüren, unter der die Luft stand und wie sie am liebsten sofort laut aufjaulen und all ihre Kräfte entfesseln würde. Aber die Gesetze der Physik, oder war es Gottes Wille, erlaubten dies noch nicht. Ich musste mich beeilen nach Hause zu kommen, wenn ich nicht in das Chaos des Orkans geraten wollte. Das Licht im Turm war erloschen. In den Häusern war kein Licht hinter den Fenstern zu sehen. Die wenigen Kaffeehäuser in der Umgebung waren bereits zugesperrt. Niemand würde mir helfen können. Niemand würde mich sterben sehen, niemand würde bemerken, wie ich von einer Windhose ergriffen und davon geschleppt werden würde. Ich würde ganz einfach und einsam verschwinden und Tage später vielleicht eine Zeitungsmeldung oder einen kurzen Internetartikel abgeben. Mehr nicht. Wenn es kommen sollte, dass der Orkan mich erwischen würde. Wenn er mich als Opfer überhaupt wollte.
Rasch ging ich über den weiten Platz vor der Kirche. In Windeseile ballten sich pechschwarze Regenwolken über mir zusammen und der Wind wurde immer hartnäckiger und schien seelenruhig vor sich hin zu pfeifen, als hätte er schon längst entschieden, wen und was er diesmal mitnehmen würde. Über meinen Schultern hatte ich das Gefühl, Gott selbst würde für ein lautes Niesen Atem holen, zumindest einmal ordentlich alles durchfegen wollen. Es war still und laut zugleich. Dann ging es los. Mit einem lauten Krachen, wie eine unsichtbare Flutwelle ungeheuren Ausmaßes, brauste der Orkan durch die Straßen und über mich einher und schubste mich, ohne Widerrede zu dulden, über den Betonboden und die Straße entlang. Es wurde immer heftiger und gefährlicher. Mehrere Male stieß ich mit voller Wucht gegen ein Auto und gegen die Hauswände. Herabfallende Dachteile und umherfliegende Gegenstände verfehlten mich nur knapp. Ich fand mich in der Hölle wieder, jedenfalls an einem Ort, dem eindeutig nichts daran lag, dass ich heil nach Hause kommen sollte.
Irgendwie krallte ich mich irgendwann instinktiv an einem Mauervorsprung fest und schaffte es, mich in eine Nische zu ziehen, in der es einigermaßen windstill war. Allmählich spürte ich die Schmerzen meiner Aufpralle und der Kopf dröhnte mir, als würde ich im Zielfeld mehrerer Wasserstoffbomben stehen.
"Na sowas..." hörte ich eine helle Frauenstimme hinter mir sagen. Ich drehte mich um und sah Ella da stehen, zusammen gekauert in einer Ecke, eingepackt in einen dunklen Wintermantel. Diesmal hatte sie keine roten, sondern schwarze Haare. "So eine Überraschung..." dachte ich mir.

Sonntag, Jänner 07, 2007

Der sterbende Alte

Zwischen den Morgenstunden und dem späten Nachmittag lebe ich normalerweise in einer Art seltsamen Loch. Nicht im physischen Sinn, sondern gemeint ist ein Zustand der Ereignislosigkeit. Meistens passierte nichts zwischenmenschlich Erwähnenswertes. Die Tagesstunden waren angefüllt mit mehr oder weniger mechanischen Tätigkeiten, die kurz unterbrochen wurden von diversen Gesprächen mit anderen Menschen, die aber meist ohne Nachgeschmack verklangen.
Daher werde ich keine unnötigen Worte darüber verlieren. Oder wenn, dann zu einem anderen Zeitpunkt.
Ich verlies das Gebäude in den späten Abendstunden. Wenn man von der Straße hinaufblickte, konnte man hinter den rießigen Fensterscheiben die Neonröhren sehen, die von der Decke strahlten und die futuristisch anmutende Atmosphäre in den Räumen erahnen.
Eine kräftige Windbö blies mir ins Gesicht und trieb mich weiter. Voran, dachte ich mir. Weiter. Irgendwohin.
Irgendwohin war für mich die Kathedrale. Irgendwohin war auch Ella. Und die Geschehnisse an diesem Ort. Und es war auch Annabell und unsere Tochter. Mehrere Ziele in unklarer Reihenfolge in meinem Kopf aufgereiht.
Ich ging bald eine kleine Gasse entlang. Eine der über mir hängenden Laternen flackerte nervös. Ein paar Autos waren geparkt und der Wind trieb altes Laub, Plastickbecher und Zeitungspapier vor sich her. Zuerst hätte ich den alten Mann gar nicht bemerkt, der sich mit schweren Schritten eine vollgesprayte Hauswand auf der gegenüberliegenden Strassenseite entlangschleppte. Aber irgendwann war sein schwerer Atem nicht mehr zu überhören. Er ging gebückt, stützte sich an der Mauer ab und hustete schwer.
Ich zögerte kurz, wollte meinen Weg nach Irgendwohin nicht unterbrechen. Aber der Anblick des Alten war erbärmlich. Plötzlich verstummte er völlig, verfiel in eine starre Körperhaltung und schloß seine Augen. Ich näherte mich ihm vorsichtig.
"Komm her...komm her..." zischte er leise und schwach. Er konnte mich nicht gesehen haben, aber vielleicht hatte er auch gar nicht mich gemeint. Ich blickte mich um. Wenn ich weitergehen würde, würde er vielleicht während der nächsten Schritte verrecken. Niemand würde ihn finden. Oder wenn, dann erst in Stunden.
"Brauchen sie Hilfe?" fragte ich unbeholfen.
Er schüttelte den Kopf und ergriff ohne mich anzusehen meine Schulter.
Der Alte war weiß wie der Mond. Fast schon strahlte er überirdisch. Der Tod war in seinem Körper erwacht.
Als wäre meine Anwesenheit das, worauf er gewartet hat, lies er sich langsam zu Boden sinken.
"Ich hole Hilfe..." versuchte ich ihm zu erklären. Aber er schüttelte den Kopf. Dann schaute er mich endlich an. In seinen Augen lag noch die Kraft eines wachen Geistes, aber das Licht in ihnen wurde schon schnell schwächer. Sein Gesicht war faltig, seine Lippen schmal, leicht verzogen.
"Nein. Ich bin in meinem Leben soweit gegangen. Für diesen letzten Weg geh ich nirgendwo mehr hin." Da war ich also in meinem Irgendwo - bei einem Sterbenden.
"Leisten sie mir doch Gesellschaft. Es wird nicht lange brauchen." sagte er weiter. Folgsam hockte ich mich neben ihn auf den Boden. Mit war plötzlich nicht mehr kalt, ich spürte den Wind nicht mehr, ich fühlte mich, als stünde ich am Scheideweg zwischen zwei Welten. Aber ich konnte mich weder vor noch zurückbewegen.
"Es ist aus mit mir."
Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Mein Kopf war plötzlich so leer. Es gab nichts zu sagen, oder zu fragen. Es gab nur das Jetzt, ohne Gedanken.
"Haben sie schon einmal geliebt?" fragte er. Ich nickte.
"Ich habe noch nie geliebt." sagte er mit einer schwachen Stimme, "Ich habe begehrt, erobert, verlassen und betrogen, getrauert und gehasst. Aber der Liebe bin ich nicht nähergekommen."
"Aber all das ist doch Teil der Liebe..." sagte ich.
"Nein. Das sind ihre niederen Erscheinungsformen. Aber das ist nicht lieben. Das wird mir fehlen. Wie ist das bei dir, Junge?"
Wie war das bei mir? Ich zuckte mit den Achseln. Liebte ich?
"Wenn du´s mir beantworten kannst, vielleicht bleib ich dann am Leben..." flüsterte der Sterbende.
"Ich weiß nicht...ob ich je geliebt habe. Ich habe jedenfalls jede Menge Probleme wegen Frauen gehabt. Aber ich glaube, ich habe schon geliebt."
"Aber wenn due jetzt, in den nächsten Sekunden sterben würdest, würdest du dann auch sagen, dass du geliebt hast? Deine Liebe gelebt hast? Alles weißt und gehen kannst?"
"Nein," sagte ich verunsichert, "das glaube ich nicht."
Der Alte nahm meine Hand. Sie war bereits ganz kalt. Er funkelte mir in die Augen, als wäre er zornig, wegen der ausgebliebenen Antwort, wegen seinem Tod, ich wusste es nicht.
"Dann schau, dass du es rausfindest. Oder verrecke für immer in der Hölle. Denn ich weiß es auch nicht." Er lockerte den Griff um mein Handgelenk. "Und hör auf, so sinnlos durch die Welt zu rennen. Dafür ist sie zu einmalig."
Er schloß wieder seine Augen. Hustete und war noch bleicher, als zuvor.
"Und jetzt hau ab." sagte er. "Ich will alleine sterben."
Ich blickte den Alten entgeistert an, stand auf und suchte nach irgendeinem sinnvollen Satz in meinem leeren Kopf. Aber da war nichts. "Auf Wiedersehen..." sagte ich dem Sterbenden meiner Unbeholfenheit und verfluchte mich dafür. er machte noch irgendein Geräusch, vielleicht war es auch ein Kichern. Ich wollte es nicht wissen und verlies diesen schaurigen Ort.