Dienstag, April 23, 2013

Nähe. Distanz. Glück und Vertrauen Angst. Immer das Gleiche doch.
Wie langweilig.
Mit dem Feuer spielen, Sachen anzünden. Erschrocken davon rennen.
Wie lange noch, soll es so weitergehen? Das muss ich Ella fragen, wenn ich sie wiedersehe.
Seit ich aufgewacht bin, muss ich an sie denken. Aber diese Gedanken werden von einem seltsamen Gefühl begleitet. Es ist Hoffnung, dass nicht ich schon wieder in einen Irrsinn hineingerate. Nach der letzten Nacht sollte ich jedenfalls länger mal nicht außer Haus gehen. Andererseits - kaum verlasse ich die Wohnung habe ich ausnahmslos Blödheiten im Kopf. Und irgendwie hängt es alles mit ihr zusammen. In mir ist es zugleich schwarz. Als gäbe es keinen Boden und meine Seele steht zwar auf einem Fundament, aber das Fundament hat keine Erde unter sich. Also bin ich irgendwo im freien Raum unterwegs und wundere mich über alles, das irgendwie klappt. Wenn man das so sagen kann.
Aber ist Ella überhaupt die, für die ich sie halte? Oder mache ich sie zu etwas, das nichts mit dem zu tun hat, was sie wirklich ist? Missbrauche ich sie sozusagen?
Ohmann. Da sind soviele Fragen, die ich mit ihr besprechen muss. Wenn ich an sie denke, weiß ich schon fast nicht mehr, wie sie ausgesehen hat. Ich hoffe, sie ist nicht auch so seltsam unterwegs wie ich. Andererseits. Ist ja auch schon egal. Es ist Nachmittag. Bald sollten meine Liebsten wieder da sein. Ich werde mal Ordnung machen und mich bemühen ein verantwortungsvolles Familienmitglied zu sein...

Donnerstag, April 04, 2013

Traum

Schwarze Nacht. Finsterster Himmel. Es ist völlig lautlos. Mit weit geöffneten Augen schaue ich in dieses Nichts, in das sich allmählich die Projektionen meines Inneren hineinstempeln. Formen in dumpfen Farben schwimmen auf und ab. Ich muss kurz vor dem Einschlafen sein. Aber wie weit blicke ich? Wie weit in den Raum? Wie weit in die Zeit? Empfinde ich Schmerz - oder ist die Taubheit bloß Lust. Ich kämpfe darum, die Gedanken anzuhalten. Diesen immerwährenden Dialog aus Stimmen zu bändigen. Erfolglos.
Doch plötzlich: eine Form rutscht langsam in mein Nichts. Bleiche lange Äste strecken sich vorwärts. Sie sind ineinander verschlungen, bedeckt mit verrotteten Blättern, morschen Zweigen, feuchte Erde haftet an ihrer Oberfläche. In der Form aus Ästen, totem Holz und Rotte erkenne ich offenbar...ein Gesicht. Es grinst. Zwei pechschwarze Löcher bilden die Höhlen für zwei weiße, leere Punkte - Augen. Eine Präsenz starrt mich an. Ein besonders langer, knorriger Ast ragt besonders weit hervor und bildet eine Nase.
Die Präsenz, die Form hat keinen Mund. Dennoch spricht sie zu mir, höre ich ihre Gedanken.
"Ich löse deine Probleme, sagt sie. Willst du das?"
Von dem Wesen geht ein Sog aus - der mich in die Gänge und das tote Innere der Äste zu ziehen scheint. Als wäre das Schweigen ein Ja.
Keine Probleme mehr. Kein einziges. Praktisch, oder? Nein, es wäre das Ende.
Ich verstehe binnen eines Moments: Das Wesen fordert meine Seele. Oder auch: die Existenz von Problemen bringt die Seele dazu, sich ihrer selbst klar zu werden. Ich weiß nicht. Vielleicht denke ich Unsinn. Aber mein Gefühl sagt klipp und klar: das  Ding will meine Seele.
"Verschwinde!" schreit es in mir.
Wortlose, konzentrierte Energie schlägt in dem Wesen ein wie eine Granate. Die toten Äste zersplittern, verschwinden. Es ist wieder dunkel.



Freitag, Dezember 21, 2012

Wieder


Das Geräusch eines Ruckelns und dann ein Stoß an meinen Oberschenkel und meine Hüfte weckte mich auf.  Eine Stimme, die irgendwie unfreundlich wirkte, redete auf mich ein. Licht. Offenbar Neonlicht. Seufzen. Geräusche von Kindern. Langsam lösten sich die Fäden des Schlafes und der Traumlosigkeit in meinem Kopf, meinem Gehirn, meinen Sinnen. Jemand stand vor mir. Über mich gebeugt. Daneben zwei kleinere Gestalten. Das Bild wurde schärfer.
Meine Familie. Ich letztlich doch gelandet vor meiner versperrten Wohnungstür. Hatte ich das alles nur geträumt? An mir keine Spuren von Gewalt, hoffnungsloser Suche, Isis und was auch immer.
"Schaut euch euren Vater an, Kinder..." hörte ich meine Frau. O mein Gott, sie hatte Recht. Welches Kind wollte seinen Vater vor der Wohnungstür abgelumpt und heruntergekommen kauern sehen. Als erstes Bild der Wirklichkeit in der Früh. "Wo warst du, bitte?" "Mit Kollegen war trinken, ich..." "Spar´s dir..." sagte sie. "Ich muss die Kinder in den Kindergarten bringen." Die drei gingen. Die Kinder blickten mich mit offenen, verwunderten, aber wenigstens wertfreien Augen an. Ich dachte mir noch - wie hübsch meine Frau eigentlich aussah. Dann verschwanden die Drei, ohne mich anzusehen im Lift. Die Tür zu meiner Wohnung stand offen. Nach einigen Sekunden des Geradeausstarrens ging ich hinein. Kam ich nach Hause. Hatte ich den Irrsinn der letzten Nacht nur geträumt? In meiner Jackentasche ergriff ich aber einen Zettel - darauf die leicht verwischten Zahlen....Ellas Telefonnummer...

Dienstag, Dezember 18, 2012

Darum


Ihre Wohnung war gleich in der Nähe. Man musste über eine breite, alte Wendeltreppe einige Stockwerke gehen. Das Haus war offenbar schon in die Jahre gekommen, ein mattes Licht strahlte von den alten Leuchtkörpern. Der Verputz an den Wänden bröckelte, die Fenster mancher Wohnungen in den Gängen waren zersprungen, die Wohungstüren alt, morsch. Isis - ich konnte nicht aufhören, mich über den Namen zu wundern - schritt immer gleich zwei Stufen nehmend vor mir. Sie dreht sich nicht um und sagte nichts. Offenbar keine besondere Angelegenheit einen fremden Menschen mit nach Hause zu nehmen. Dazwischen musste ich an zuhause denken. Ich sollte nach Hause. Aber konnte es nicht. Als Gefangener der Situation lehnte ich mich innerlich zurück und beobachtete einfach nur. Vor der Tür ihrer Wohnung angekommen schauten wir uns an - eigentlich zum ersten Mal, denn in dem Schneegestöber draußen konnte man von Schauen nicht wirklich sprechen. Sie grinste selbstverständlich. Den Schal hatte sie sich mittlerweile vom Gesicht gezogen. Ihr Gesicht glänzte leicht vom langsam schmelzenden Schnee, einzelne Schneeflocken hielten sich aber wacker auf ihrer Haube.
"So. Da sind wir."
Ich konnte nur dümmlich lächeln und nickte. Offenbar waren keine Spuren meiner Flucht aus dem Bordell zu sehen - sonst hätte sie sicher etwas gesagt.
Sie sperrte auf - die erste Tür seit langem, die sich problemlos öffnen lies.
Drinnen: eine einfach eingerichtete Wohnung. Platz um Schuhe abzustellen, Jacken auf ein Sofa zu werfen, ein Vorzimmer, eine kleine Küche, ein Wohnzimmer, mit einem improvisiertem Bett, also eine Matratze auf einer Holzpalette. Der Geruch von Heu lag in der Luft. Ein Spiegel. Tatsächlich. Ich sah völlig normal aus. Keine Spur einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Hatte ich alles nur geträumt?
"Bist eh schön..." sagte sie, ging in die Küche. Meine Blicke folgten ihr. Ihre Hüften schwangen bei jedem Schritt mit. Sie war schlank, wirkte beweglich. Hinter ihrem Wollpullover zeichneten sich ihre Brüste ab, im Profil sah ich ein hübsches, kompaktes Gesicht. Eine attraktive Frau, dachte ich mir. Ich ging ins Wohnzimmer weiter und setzte mich auf einen Stuhl. Auf einem Wäschetrockner hing einiges an Gewand. Auf einem kleinen Schreibtisch stand ein Laptop.
Ich hörte ihre Schritte, sie stellte mir eine Dose Bier hin.
"Ich nehme an, das kannst du jetzt brauchen..." sagte sie und sah mich dabei fragend an. Ihre Lippen hatte sie dabei zu einer Art Kussmund geformt.
"Danke. Absolut."
Ich öffnete die Dose, nahm einen Schluck.
"Woher kommst du?" wollte sie wissen und setzte sich auf das Bett.
"Oh. Ein langer Abend. War was trinken. Offenbar hab ich mich in dem Schnee verlaufen. Und du?"
"War was trinken mit einem Typen. Wollte aber lieber alleine nach Hause gehen."
"Naja. Daraus ist jetzt aber nichts geworden."
"Stimmt."
Schweigen. 
"Und jetzt?"
Ich schaute sie nochmal an. Ihre vollen Lippen waren geschlossen, sie überlegte offenbar. Das Licht fiel vom Gang draußen herein. In dem Halbdunkel war sie nur teilweise zu erkennen. Eine seltsame Situation, die ihr offenbar nicht unangenehm war. Natürlich dachte ich an Sex. Zumindest an die Möglichkeit dazu. Sie vielleicht nicht. Vielleicht aber auch schon.
"Nichts." sagte sie.
Ich erklärte ihr, wo ich eigentlich wohnte und fragte, ob sie die Gasse kennt. Sie nickte. Aber konnte nicht genau sagen, wo dieses Zuhause war.
Sie arbeitete in einem Buchladen erzählte sie. Hatte mit Sprache zu tun, gelegentlich schreiben. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit. Dabei ging es vor allem darum, anderen Leuten zu sagen, was sie tun sollten. Konkret: unterschiedliche Ereignisse, die sich in der Welt ereigneten, zu filmen, mit Menschen zu sprechen und das dann in kurze Berichte zu fassen. Das war größtenteils meine Arbeit. Nebenbei musste ich überblicken, was in der Welt eben alles geschah und dann eine Auswahl treffen - welchen Teil der Realität bilden wir ab, welchen nicht. Und dann musste ich mir diese Berichte ansehen und sagen, was gut war und was unter Umständen besser gemacht werden sollte. So verbrachte ich meine Tage. Meine Familie erwähnte ich jetzt mal nicht.
Sie schien das interessant zu finden. Das war ich nicht gewohnt. Ich kannte kaum Menschen, die das, was ich tat, interessant finden, mich eingeschlossen.
Bald war einiges an Zeit vergangen. Isis wurde müde. Ich war es auch.
"Komm her..." sagte sie.
Ich gehorchte, setzte mich neben sie. Sie lächelte mich an. Sie umarmte mich. Ich sie. Ihr weicher Körper schmiegte sich an mich. Mein Herz begann zu klopfen.
"Aber grapsch mich nicht an. Ja?"
Dann löste sie sich von der Umarmung.
"Man soll die Dinge nicht zu schnell angehen." erklärte sie mir. Wenn du willst leg dich zu mir. Ich schlafe jetzt. Dann drehte sie sich um.
Ich überlegte. Was tun? Sie schien sehr rasch eingeschlafen zu sein.
Ich schrieb ihr meine Telefonnummer auf einen Zettel und schrieb ein "Dankeschön" dazu.
Dann verlies ich die Wohnung. Als ich aus dem Haus trat, war der Schneesturm vorbei. Aber es war noch immer tiefste, zeitlose Nacht.

Freitag, Dezember 14, 2012

Isis



Die junge Frau namens Isis reichte mir ihr Telefon. Ich schüttelde dankend den Kopf. Im Schneefall war es aber nicht möglich, eine Nummer einzutippen. Ich stellte mich in den Schutz eines Mauervorsprungs bei einem Hauseingang, suchte hektisch die Telefonnummer von Ella in meiner Hosentasche. Fand ihn nicht. Dann in der Jackentasche, Hemdtasche.
Isis schaute mich immer skeptischer an. Mir war das Ganze natürlich peinlich. "Hab´s gleich." erklärte ich. Sie nickte kurz und versuchte gar nicht erst groß zu verbergen, dass sie meinen Anblick belustigend fand. Ich glaubte, zumindest einen Hauch von Sympathie in ihren Augen zu erkennen.
Endlich ertastete ich den Zettel in der Innentasche meiner Jacke zwischen den Krümeln von Zigaretten, die bei meinem waghalsigen Sprung durch das Fenster - war wirklich ich das, der das getan hat? - offenbar zerquetscht worden waren. Ich zog den Zettel heraus. Entzifferte die einzelnen Schriftzeichen aus Ellas Hand. Shit. Einige Zahlen waren verwischt und nicht mehr lesbar. Ich starrte auf den Zettel, wollte es nicht glauben.
"Gibts ein Problem?" fragte Isis.
"Ich kann die Nummer nicht lesen...das heisst, ich kann schon lesen. Die Nummer ist aber verwischt..."
"Oh...."
"Fuck."
Schweigen.
"Ist etwas kalt hier. Ich muss mal weiter." sagte sie.
"Ja. Ja. Schon gut."
"Also, weiß nicht, was man da sagt...Machs gut?"
"Ja. Sowas in die Richtung, glaube ich. Danke für die Hilfe."
Ich reichte ihr das Handy zurück.
Sie ging. Ich schaute ihr nach in den Schnee. Kaum hatte das Weiß sie verschluckt, hörte ich ihre Stimme nocheinmal.
"Sag - magst du mitkommen? Kannst dich bei mir aufwärmen. Hab eine Ecke, da ist Platz für...so...Spinner...".
PotzBlitz! Damit hatte ich jetzt aber nicht gerechnet. 
Genaugenommen war es ein Unsinn auf das Angebot einzusteigen, weil jede Entscheidung, die ich an diesem Tag getroffen hatte, hat sich bislang als äußerst fatal erwiesen. Andererseits - hier im Nichts dieser immer unheimlicheren Stadt und in der Kälte durch die Gegend laufen, ohne zu wissen, woher und wohin, war auch nicht sinnvoll. Zudem war es mittlerweile wirklich bitterkalt. Und diese Frau wirkte ja nicht unsympathisch oder gefährlich. Vielleicht war es besser mitzugehen. Möglicherweise würden außerdem die seltsamen Zeitgneossen aus dem Lokal doch nach mir suchen - oder zumindest so unerwartet auftauchen, wie zuvor. Rasch wurde mir klar - ich hatte eigentlich keine Wahl. Ich musste das Angebot annehmen.
"Hey - Gern!" sagte ich. Und hoffte dabei, dass in keinster Weise zu hören war, in was für einer Verfassung ich gerade war.

Donnerstag, Dezember 13, 2012

Weiter



Das Schneegestöber wurde immer dichter. Die Flocken trieben hektisch vor mir her. Ich musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zu sehen. Ganz gut, dachte ich mir. So wurden meine Fußsspuren verdeckt. Nach einiger Zeit fühlte ich mich etwas sicherer. Noch war es nicht möglich, zu dem eben Geschehenen einen klaren Gedanken zu fassen. Jedenfalls hatte dieser Tag, seitdem ich auf Ella gestoßen war, eine durchaus eigenartige Entwicklung genommen. Wie sollte ich das alles erklären? Und vor allem wem? Beim Versuch, die Ereignisse in einen logischen Zusammenhang zu setzen, wurde klar, dass es keine Logik gab. Noch nicht.
Bald stellte ich zudem fest, dass ich mich in den vielen Gassen des Viertels verlaufen hatte. Die Häuser und Plätze kamen mir zwar bekannt vor, aber ich fand keine Strasse, bei der ich wusste, wo sie mich hinführen würde. Ich konnte auch nicht abschätzen, wie spät es jetzt war. Es war nicht stockfinster, aber auch nicht wirklich hell. Der Himmel war durch das Schneetreiben nicht zu sehen. Das Licht konnte auch von der Strassenbeleuchtung kommen.
Mein Körper war soweit wenigstens in Ordnung, stellte ich überrascht fest. Das Handgelenk, das bei der verschlossenen Tür in dem Bordell geknackst hatte, schmerzte nicht und war voll bewegungsfähig. Und die Taubheit von dem Schlag in mein Gesicht machte langsam der Wahrnehmung von Kälte und Schnee Platz. Um sicher zu gehen, dass auch in meinem Gesicht und an meiner Kleidung keine Spuren dieser denkwürdigen Nacht hafteten, würde ich aber einen Spiegel brauchen.
Eventuell würde ich dann sogar nach hause gehen können, vor der Wohnungstür schlafen und am nächsten Tag reumütig eine Geschichte von einer spontanen Zechtour mit Arbeitskollegen erzählen. Dann in der Arbeit krank melden, schlafen gehen, aufwachen, Ellas Nummer wegschmeißen, die ganze Sache vergessen und ganz normal weiterleben. In einer Bar ein Bier trinken, auf einen Fernseher starren, einen Urlaub buchen, Steuern zahlen, Weihnachtsgeschenke einkaufen, Hobbys nachgehen, auf ein Sparbuch Geld zur Seite legen. Das übliche Programm.
Jetzt musste ich nur noch den Weg nach Hause finden.
Ich hatte mich aber verlaufen.
Ich kannte die Strassennamen nicht. Ich kannte die Häuser nicht. Kein Taxi weit und breit. Keine Menschenseele. Kein Licht hinter den Fenstern.
Ich ging weiter.
Plötzlich erkannte ich Reste von Spuren im Schnee. Das Profil von Winterschuhen. Keine allzugroße Schuhgröße. Ich folgte der Spur. Immer schneller. Mit großen und immer größeren Schritten. 
Plötzlich eine Gestalt vor mir. Eine Frau. Nicht allzu groß gewachsen. Gut eingepackt in eine Winterjacke, die bis über die Hüften reichte und mit einer dicken Fellmütze am Kopf. Die Schultern hochgezogen zum Schutz vor dem Wind. Ich setzte an: "Entschuldigung..." Sie hörte nicht. Etwas lauter: "Entschuldigung!" Die Frau drehte sich überrascht um. Ein unsicherer Ausdruck stand in ihrem Gesicht. Sie hatte dunkle Augen. Ein Schal bedeckte das Gesicht. Einige, lange dunkle Haare wehten unter der Mütze hervor. War ich ein Irrer? Ich hob beschwichtigend meine Hände. "Hallo...entschuldige...äh...ich suche die nächste U-Bahnstation..." Die Frau zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Es war offensichtlich, dass sie mich so schnell wie möglich loswerden wollte. Was ich ihr auch nicht verübeln konnte. "Keine Ahnung." sagte sie und: "Vielleicht in die Richtung..." zeigte gerade aus weiter und wollte weiter gehen.
"Ich hab mich ein bisschen verlaufen in dem Wetter." erklärte ich.
"Blöd." sagte sie.
Etwas an ihr kam mir vertraut vor.
"Wie heisst du?" wollte ich wissen. Lange Pause.
"Isis."
Komischer Name dachte ich mir. Ich sagte ihr meinen Namen.
Dann schaute sie mich lange an - gab mir zu verstehen, dass ihr nicht ganz klar war, was ich von ihr wollte und dass sie gerne weitergehen würde.
Ich dachte mir: Sollte ich Ella anrufen? Vielleicht könnte ich das Telefon der Frau benützen.
"Hast du ein Telefon, das ich benützen darf?" fragte ich.
Verwundert sagte sie ja. Warum sie das tat - ich weiß es nicht.

Montag, Dezember 10, 2012

Immer



Ich rannte wie ein Besessener aus dem Lokal. Richtigerweise muss ich sagen - ich wollte hinausrennen. Leider war die Tür verriegelt. Mit voller Wucht prallte ich gegen das abgedunkelte Glas der Türscheibe. Die Tür ruckelte nicht einmal. Irgendetwas knackste im Bereich meines Handgelenks. Ich bemerkte es vorerst ohne Schmerz. Eine Mischung aus Peinlichkeitsgefühlen und dann rasch ausufernder Panik nahm meinen Körper in Besitz. Die paar Nutten im Lokal schauten etwas entgeistert zu mir herüber. Ein paar saßen nebeneinander auf einem Sofa, nippten an ihren Sektgläsern. Ihre Unterwäsche leuchtete blauweiß im Neonlicht. Das Weiß ihrer Augen brannte sich in mir ein. Mir schien, sie grinsten. Oder leuchteten bloß ihre Gesichter so gespentisch. Ich warf einen Blick zu Veronika. Sie blickte ebenfalls ihre Stirn runzelnd in meine Richtung. Eine ruhige, schmale Rauchsäule stieg vom Aschenbecher empor, in dem meine Zigarette noch gloste, als wäre nichts geschehen. Die zwei Typen in der Ecke waren nicht zu erkennen.
Hinter der Theke bewegte sich ein Schatten am Tresen vorbei. Der Barkeeper, Aufpasser, Kassier und jetzt Scharfrichter über mein unwürdiges Leben. Ein breitschultriger, glatzköpfiger Typ in einem weißen Hemd ging ruhig zu Veronika. Sie flüsterten etwas. Blickten zu mir hinüber. Dann redete er kurz mit den beiden Typen in der Ecke. Der Mann war seelenruhig. Kein Wunder. Ich war gefangen. In einem Bordell. Ohne Sex gehabt zu haben. Er winkte mich zu sich. Ich warf noch einen Blick auf die Tür - aber es gab keine Türklinke und keinen Türöffner. Nur das abgedunkelte Glas. Draußen ein Taxi, das im mittlerweile recht dichten Schneefall ganz langsam vorbeifuhr. Niemand wusste wo ich war, wer ich war, warum ich hier bin, ich könnte jetzt verschwinden und es würde keinen Menschen geben, der je davon erfahren würde. Ich hatte Angst.
Der Barkeeper kam ganz langsam auf mich zu. Er sprach in starkem Dialekt. "Die Zwei wollen mit dir sprechen." "Aber ich würde jetzt ganz gerne gehen." antwortete ich. ""Das kannst du dann vielleicht nachher machen. Jetzt redest du mit den Beiden." In der dunklen Ecke stieg Zigarettenqualm auf. Es schien blau zu leuchten. Wie ein Sternentor kam mir diese Dunkelheit vor. Als gäbe es keine Wiederkehr von dem, was dort auf mich wartete.
Er baute sich vor mir auf. Seine Körpergröße übertraf meine um einen halben Kopf. Seine Oberarme waren in etwa so breit wie meine Brust kam mir vor. Aus seinen Augen sprach eine Fähigkeit zu Brutalität, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Er starrte mich an. Jeder Funken Wille schien aus mir zu weichen.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Die mich eine möglicherweise folgenschwere Entscheidung fällen ließ.
In sprang dem Typen mit einem Satz zwischen seine Arme vors Gesicht und schob meinen Handballen mit gestreckten Armen in sein Kinn. Ehe er ausweichen konnte, klappte sein Kopf schon zurück und er wich nach hinten. Etwas schien nachzugeben. Aber nicht ganz. Ich Idiot. Natürlich reichte meine Kraft nicht aus, um ihn wirklich niederzuschlagen. Er ergriff meinen Arm und ich stürzte mit ihm zu Boden. Es gelang mir sogar, mit dem Schienbein in seine Kniekehle zu treten. Der Griff lockerte sich nicht. Ich erinnerte mich - es gab ein paar Nerven  am Oberarm, man musste sie nur gut genug erwischen. Schnell genug. Hingelangen. Der Typ stöhnte. Ich spürte nichts mehr. Dann  versetzte er mir mit seiner Faust einen Vollteffer ins Gesicht. Ich verlor das Bewusstsein.
Beinahe vollständig.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Zwei dunkle Körper kamen auf mich zu. Weit weg hörte ich die Mädchen kreischen. Ich befreite mich irgendwie aus der Umklammerung. Ich konnte die Tür sehen. Daneben Fensterscheiben. Von Vorhängen verdeckt. Ich stürzte mich darauf zu. Einer der beiden Körper schnappte nach mir. Ein Stoff-Fetzen meiner Jacke blieb in seinen Händen. Ich machte einen weiteren Schritt. Einen Sprung. Ich musste an Ella denken. Und an mein anderes Leben. Ihre Nummer. Glas konnte brechen. Fensterscheiben auch. Ich stürzte am Boden. Kratzer am Gesicht. Scherben überall. Eine Blutspur im jungfräulichen Schnee. Wie Wolle eines Lamms auf dem grausamen Boden von Mutter Erde. Asphalt. Frischluft.
Ich landete am Rücken. Meine Lungen versagten ihren Dienst. Ich konnte nicht denken. Nur weiter, schrie es in mir. Weg. Meine Beine gehorchten langsam. Zu langsam. Schritt für Schritt. Wie Flucht während eines Alptraums. Man kommt nicht schnell genug weiter.
Aber letztenendes schien es doch zu reichen. Ich rannte. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass mir niemand folgte. Vorerst.